von Lena Dunkelmann (Universität Koblenz), Birte C. Gnau-Franké (Universität Koblenz) und Mandy Lamb (TU Darmstadt)

Zum zehnten Liebesbriefstammtisch kamen am 13. September nach der Gruß & Kuss-Sommerpause alt bekannte und neu interessierte Bürgerwissenschaftler*innen im Residenzschloss Darmstadt und an der Universität Koblenz zusammen. Passend zum bevorstehenden Tag des Herzens am 29. September fiel die Wahl des diesmaligen Stammtischs auf “Herzsymbolik in Liebesbriefen”. 

Zum Einstieg wurden den Bürgerwissenschaftler*innen drei Fragen gestellt: Was verbindet ihr mit dem Symbol des Herzens? Woher stammt das Herz als Symbol für die Liebe? Wie kann uns Herzsymbolik im Liebesbrief begegnen?

Der Liebesbriefstammtisch im Residenzschloss Darmstadt.
CC-BY-SA Liebesbriefarchiv/Leonie Edelmann

Was verbinden wir mit dem Symbol des Herzens?

Zur Beantwortung dieser Frage beriefen sich die Bürgerwissenschaftler*innen größtenteils auf Vorwissen und eigene Erfahrungen im Umgang mit der Herzsymbolik. Auffällig war, dass die meisten Antworten mit den vielfältigen Bedeutungsperspektiven zum Wort “Herz” im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache1 übereinstimmten:

  • Herz als Symbol für Liebe und Liebende
  • Herz als Ort und Ausdruck der Gefühle bzw. der seelischen Empfindungen
  • Herz meist als rotes Symbol
  • schwarzes Herz in Todesanzeigen

Eine offene Diskussion unter den Bürgerwissenschaftler*innen entfachte sich vor allem beim zweitgenannten Punkt, dass das Herz als Ort und Ausdruck der Gefühle gelte: Warum soll ausgerechnet das Herz als Ort des Denkens und Fühlens bezeichnet werden und nicht etwa Organe wie das Gehirn − oder die Leber? Woher stammt das Herz als Symbol für die Liebe überhaupt?

Die Bedeutung und der Ursprung der Herzsymbolik aus kultureller Perspektive

Forschungen rund um die Thematik Herz und Herzsymbolik stammen eher aus dem deutschsprachigen Kulturraum und interessieren sich vor allem für den kulturgeschichtlichen Ursprung und dessen Bedeutung, anstatt sich beispielsweise zeichentheoretisch mit der Herzsymbolik auseinanderzusetzen.2 Ein Beispiel dafür ist die wissenschaftliche Erforschung der Herzsymbolik, die laut Carsten Seidel nur in dessen Dissertation Das liebesbriefliche Herzbild: Bedeutungen und Funktionen3 aufzufinden ist. Für den kulturellen Hintergrund und den Blick auf die vielfältigen und interdisziplinären (Be-)Deutungen des Herzens und der Herzsymbolik stand das von Kruse und Plessen verfasste Werk Von ganzem Herzen: Diesseits und jenseits eines Symbols4 zur Verfügung. Beim gemeinsamen Diskutieren wurden sowohl Ausschnitte daraus aufgegriffen als auch eigenes Wissen der Bürgerwissenschaftler*innen einbezogen.

In verschiedenen Kulturen werden unterschiedliche Ansichten über das Herz vertreten. Für die Erläuterungen des Herzens und der Herzsymbolik berief man sich während des Liebesbriefstammtisches vor allem auf die christliche Religion, Philosophie sowie die ägyptische und griechische Kultur. Die christliche Perspektive, vor allem im Alten Testament, betrachtet das Herz als den “Ort der inneren Wahrheit und seelischer wie geistiger Kraft”5. Viele heute gebräuchliche Redewendungen stammen aus der Bibel, wie zum Beispiel „wer sich von Gott abwendet, hat ein Herz aus Stein” (Jeremia 11,20). Hier wird das Herz als der Sitz von Gut und Böse, von guten und schlechten Taten betrachtet.6

Eine besondere Bedeutung erhält das Herz im Christentum durch das Herz Jesu. Ab dem 14. Jahrhundert wird das Herzsymbol mit dem liebenden und leidenden Christus in Verbindung gebracht.7 Die Herz-Jesu-Verehrung entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Massenkult mit Ursprüngen im 17. Jahrhundert durch die Vision einer französischen Nonne8, die Jesus mit seinem flammenden Herz begegnet sein soll.9 Die flammende Herzsymbolik hat also eindeutig einen christlichen Ursprung. Im Gegensatz dazu ist das mit einem Pfeil oder mehreren Pfeilen durchbohrte Herz sowohl aus der christlichen als auch aus der antiken Perspektive zu deuten. Während es im christlichen Kontext als Ausdruck von Jesu Liebe zu den Menschen interpretiert wird, symbolisieren die Pfeile in der Antike die entfachte Liebe zwischen zwei Menschen.10

Altarbild in der Herz-Jesu-Wallfahrtskirche in Velburg (Oberpfalz): Jesus zeigt sein brennendes Herz, Bildquelle: Wikipedia, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Heiligstes_Herz_Jesu#/media/Datei:HerzJesuVelburg.jpg, zuletzt aufgerufen am 22.04.2024.

Zuletzt ist noch auf die ägyptische und griechische Kultur zu verweisen. In der ägyptischen Kultur wird das Herz nicht nur als der Sitz der Gefühle betrachtet, sondern auch als Ort der Vernunft. Im Jenseits spielt das Herz eine entscheidende Rolle, da es über das Schicksal des Verstorbenen nach dem Tod bestimmt – ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht.11 Die Parallele zwischen dem Herz als Ort der Gefühle und dem Ort der Vernunft verweist gleichzeitig auch auf die Seeleneinteilung nach Aristoteles. In der griechischen Naturphilosophie betrachtet Aristoteles (384 v. Chr.–322 v. Chr.)12 das Herz als den einzigen Sitz der Seele. Diese kulturellen Ansichten über das Herz haben sich über die Jahrhunderte entwickelt und spielen auch in der mittelalterlichen Literatur und in der mittelalterlichen Kunst eine bedeutende Rolle. Beispiele dafür sind Efeublätter auf antiken Vasen, Grabmalen oder Gemälden sowie die klassische rote Herzsymbolik auf den Gewändern von Pferden im Mittelalter.

Nachdem nun aus einer kulturellen Perspektive in Ansätzen erläutert wurde, woher die Herzsymbolik eigentlich stammt, soll sich im folgenden mit der Herzsymbolik in Liebesbriefen auseinandergesetzt werden. 

Herzsymbolik in Liebesbriefen

Bevor sich die Liebesbriefforscher*innen den Liebesbriefen gewidmet haben, wurde gemeinsam überlegt, wie Herzsymbolik in Liebesbriefen auftauchen könnte. Es wurde herausgearbeitet, dass Herzen sowohl bildlich als auch sprachlich-metaphorisch auftreten können. Folgende Beispiele wurden genannt:

  • Herzen ersetzen i-Punkte
  • gemalte Herzen (z.B. Herz mit einem Pfeil oder mit mehreren Pfeilen)
  • Papier in Herzform ausgeschnitten
  • Wortverkürzungen wie z.B. <3-lich 
  • in Herzform gefaltetes Papier 
  • Schreibrichtung in Herzform (Figurengedicht)
  • Sticker
  • sprachlich-metaphorisch (Herz rutscht in die Hose, Herz klopft bis zum Hals, Herzklopfen)
  • in digitaler Liebeskommunikation können spezielle Herzemojisals Privatcode genutzt werden 
  • bei Emojis kann die Farbe des Herzens gerade in sozialen Medien noch mal eine andere Bedeutung haben (z.B. grünes Herz für Klima)

Einige dieser genannten Herzbilder tauchen sowohl in unseren Liebesbriefen aus dem Liebesbriefarchiv auf als auch in den von Seidel untersuchten Liebesbriefen und statistischen Umfragen. Die für den Stammtisch relevanten Herzbildtypen nach Seidel werden im Folgenden vorgestellt, bevor eine genaue Analyse der Herzbilder in unseren Liebesbriefen wiedergegeben wird.

Wie wird die Herzsymbolik in Liebesbriefen verwendet?

Die symbolische Figur des Herzens taucht in vielen Liebesbriefen auf. Doch Herzbildtypen sind nur eine Form von Abbildungen, die laut Seidel oft als Merkmal des äußeren Erscheinungsbildes in Liebesbriefen vorkommen. Als weitere Motive sind z.B. Blumen (vor allem Rosen), Tiere, Sprüche, Cartoons und bekannte (Comic-)Figuren wie die Diddl-Maus zu erwähnen.13

Die Forschungen von Liebesbriefarchivgründerin Prof. Eva L. Wyss zeigen, dass sich der Liebesbrief vom 19. bis zum 21. Jahrhundert auf verschiedene Arten verändert hat. Seit dem 20. Jahrhundert orientiert sich die schriftliche Liebeskommunikation nur noch wenig an der formalen Struktur des prototypischen Liebesbriefes. Stattdessen geht es vielmehr darum, den sprachlichen Ausdruck von Emotionen medial zu erweitern; so nimmt beispielsweise ab den 30er-Jahren die Bedeutung der eigenen Handschrift als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit immer mehr zu. Seit den 40er-Jahren ist eine Entwicklung vom rein schriftsprachlichen Liebesbrief hin zum Text-Bild-Liebesbrief zu beobachten: Fotos und Zeichnungen sind spätestens seit den 50er/60er Jahren keine Seltenheit mehr und verweben sich immer mehr mit Worten, um die Gefühle des Absenders zu vermitteln.14 

Der Germanist Seidel hat sich intensiv mit der Herzsymbolik in Liebesbriefen auseinandergesetzt. Er betrachtet nicht nur die Ausdrucksseite der Herzabbildungen, sondern auch ihre Bedeutungsseite. Laut Seidel können Herzdarstellungen in Liebesbriefen unterschiedliche Formen annehmen: Sie können gemalt, aufgeklebt, gedruckt, abgepaust oder sogar geküsst sein. Jede dieser Formen trägt eine spezifische Ausdrucks- und Bedeutungsseite in sich. Daraus ergibt sich, dass ein Herzbild unterschiedlich interpretiert werden kann und daher Verschiedenes vermittelt: Es kann ein Zeichen der Romantik sein, etwas Liebes darstellen oder sogar Humor überbringen. Dass nicht jedes Herz dasselbe übermittelt, verdeutlicht Seidel grundsätzlich mit seiner Unterscheidung zwischen freien und gebundenen Herzdarstellungen. Ein freies Herz ist kein Bestandteil eines Herzbildes oder Herzkonzepts, während ein gebundenes Herz in einem Kontext steht, sei es sprachlich, nonverbale oder sprachbegleitend. Als typisches Beispiel für ein gebundenes liebesbriefliches Herzbildexemplar ist die von den Bürgerwissenschaftler*innen aufgestellte Vermutung zu erwähnen, dass Herzen in Liebesbriefen sprachliche Zeichenteile wie i-Punkte ersetzen.15

In Liebesbriefen wird das Herz also nicht nur als simples Symbol verwendet, sondern es trägt eine tiefere Bedeutung, die durch seine Form und seine Darstellung ausgedrückt wird. Die Arbeit von Seidel stellt die Vielschichtigkeit der Herzsymbolik in den Mittelpunkt und zeigt, wie komplex die Sprache der Liebe in ihren Gesten und Bildern sein kann.

Welche Herzbildtypen gibt es?

Nach diesem kurzen inhaltlichen Überblick über den Forschungsgegenstand zur Herzsymbolik im Liebesbrief ist für die anschließende Analyse der ausgewählten Liebesbriefe ein Überblick zu den dafür relevanten Herzbildtypen sinnvoll. Insgesamt unterscheidet Seidel 22 Herzbiltypen16, von denen besonders vier für uns bedeutend sind:

  1. Lego-Herzbild: Der Lego-Herzbildtyp zählt zur Zeichenart des symbolischen Zeichens bzw. Transsymbols17. Die Charakterisierung als Lego-Herzbildtyp bezieht sich darauf, dass Elementar-Herzbildtypexemplare die Funktion von Bausteinen übernehmen.18 Lego-Herzbilder übernehmen dabei nicht die Bedeutung der elementaren Herzbildtypen, “sondern die Bedeutung des ersetzten Zeichens bzw. Zeichenteils”19.
  2. Substitutions-Herzbild: Der Substitutions-Herzbildtyp zählt zur Zeichenart des symbolischen Zeichens bzw. Transsymbols. In diesem Fall handelt es sich um ein Transsymbol, das “die Bedeutung des ersetzten Zeichen(teils) übernimmt”20. Es kann in unterschiedlichen Varianten vorkommen. Dabei kann die Herzsymbolik vor allem ein ganzes Wort (z.B. Ich ♡ Dich), einen Buchstaben (l♡ve), einen Buchstabenteil wie den i-Punkt, Satzzeichen wie den Punkt am Ende des Satzes oder ein Satzzeichenteil (wie den Punkt des Ausrufezeichens) durch ein ♡ austauschen bzw. ersetzen.21
  3. Amor-Herzbild: Der Amor-Herzbildtyp zählt zur Zeichenart des ikonischen Zeichens bzw. einfachen ikonischen Zeichens22. Der Amor-Herzbildtyp wird durch seine Ähnlichkeit mit dem Elementar-Herzbildtyp definiert, jedoch mit dem Unterschied, dass er von einem Pfeil durchbohrt wird. Da Amor als mythologische Figur bekannt ist, die Pfeile verschießt, um Liebe zu entfachen, wird dieser spezielle Herztyp als Amor-Herzbildtyp bezeichnet.23
  4. Gemalte Sprachmetapher: Eine gemalte Sprachmetapher ist ein ikonisches Zeichen, da sie mithilfe eines assoziativen Schlusses gedeutet wird. Dieses Ikon basiert auf einem mentalen Bild, das während der Schlussfolgerung einer sprachlichen Metapher entsteht. Als Beispiel ist die gemalte Sprachmetapher des 7-Wolke-Herzbildtyps24 zu erwähnen. Diese liegt beispielsweise als gemaltes Abbild eines Elementarherzbilds vor, das auf einer Wolke “schwebt”. Damit verweist diese gemalte Sprachmetapher auf die sprachmediale Metapher bzw. Redewendung “>auf Wolke 7 schweben< bzw. >im  7. Himmel sein/ sich wie im 7. Himmel fühlen<”25.

Nachdem nun die theoretischen Hintergründe und unterschiedlichen Herzbild-Typen vorgestellt wurden, wird im nächsten Teil auf die konkrete Realisierung von Herzsymbolik in Liebesbriefen aus dem Liebesbriefarchiv eingegangen.

Liebesbrief mit Herzbildtypen als symbolisches Zeichen

LB_00420_0026_001. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Dieser im Jahr 1976 verfasste Liebesbrief stellt nur einen kleinen Ausschnitt eines insgesamt DIN A0 großen Liebesbriefs dar. Das Plakat, auf das die Liebesbotschaften geschrieben wurden, ist insgesamt in vier gleich große Felder gefaltet, die jeweils einen eigenen ‘Liebesbrief’ beinhalten. Der Liebesbrief ist – so wie alle anderen auf diesem Papier auch – mit grünem Fineliner verfasst; lediglich die im Text vorkommenden Herzen sind mit roter Farbe ausgefüllt. Der Verfasser bindet in diesem Liebesbrief Herzen auf drei unterschiedliche Arten ein: So setzt er hinter die namentliche Anrede (“Ingeschatz”, “Ingespatz”) ein Herz-Ausrufezeichen, das Wort ‘Herz’ wird durch ein gemaltes Herz ersetzt und gemalte Herzen dienen als Wortverkürzung (“♡-allerliebster”). All diese drei Arten entsprechen nach Seidel dem Substitutions-Herzbildtyp, da der ursprüngliche Zeichenausdruck eines Zeichenteils – in diesem Fall ein Wort und ein Satzzeichenteil – unter der Bedingung der gleichen zugehörigen Zeichenbedeutung ausgetauscht wird.26 Auch ganze Worte – wie hier in der letzten Zeile das Wort ‘Du’ – werden in Herzen geschrieben anstatt mit geraden Linien. Seidel bezeichnet diese Art von Herzbildtyp auch als LEGO-Herzbildtyp, da hier elementare Herzbildexemplare (=♡) als Baustein sprachlicher Zeichen(teile) fungieren.27 Der Verfasser bemüht sich um einen gewählten Stil und verwendet auch hierbei Herzmetaphorik, wenn er schreibt, dass das “Herz hüpft”.

Schülerbrief mit Herzbildtypen als ikonisches und symbolisches Zeichen

LB_00696_0001_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Nicht nur Erwachsene schreiben Liebesbriefe, sondern auch Kinder und Jugendliche. Das zeigt dieser Schülerbrief aus den 1980er Jahren, der in kurzen, abgehackten Sätzen verfasst wurde. Ähnlich wie das vorherige Briefbeispiel sind lediglich die Herzen in roter Schrift verfasst. Die Herzen dienen in diesem Beispiel als Ersatz der i-Punkte und entsprechen daher dem Substitutions-Herzbildtyp, das in diesem Fall einen Buchstabenteil austauscht, aber die Bedeutung des Buchstabens beibehält.28 Zudem dienen die Herzen als Verzierung und werden dadurch inflationär gebraucht. Des Weiteren ist der Liebesbrief mit zwei weiteren Herzen verziert – jeweils zu Beginn und Ende des Briefes –, die von (einem) Pfeil(en) durchbohrt werden, was laut Seidel dem “Amorherzbildtyp[]”29 zuzuordnen ist. Das große rote Herz am Ende des Liebesbriefes, das mit Filzstift gemalt wurde, wird von zwei blauen Pfeilen durchbohrt. In der Herzmitte stehen die Worte “I love you”. In diesem Sinne ist das Herzbild wohl eindeutig in Verbindung zu Amor zu stellen. Amor, oft auch unter Cupido (lat. “Begierde”) bekannt, gilt in der römischen Mythologie als Liebesgott.30 Das Herz, das von Amors Pfeil getroffen wird, wird zur Liebe erweckt und ist in diesem Fall ein Ausdruck für die Verliebtheit der Schülerin.

Die Bürgerwissenschaftler*innen haben die These aufgestellt, da die eigentliche Liebesbekundung innerhalb des Briefes auf Englisch verfasst ist, dass dies möglicherweise für Schamhaftigkeit stehen könne, Gefühle in der eigenen Erstsprache auszudrücken. Durch den Einsatz einer Fremdsprache wird hierzu eine Distanz geschaffen. Eine weitere These, die in den Raum gestellt wurde, war, dass Kinder möglicherweise Zeichnungen als Ausgleich für fehlende Worte nutzen; sie greifen auf visuelle Formen zurück, weil ‘Wichtiges’ nicht zum Ausdruck gebracht werden kann. Dies wurde von einem Bürgerwissenschaftler auch als “Gefühlskomplex” bezeichnet.

Lyrische Liebesbriefe mit Herzzeichnung

LB_00147_0059_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Im Gegensatz zum Schülerbrief kommen in diesem Liebesbriefbeispiel nicht an mehreren Stellen unterschiedliche Herzbildsymbole beziehungsweise Herzbildtypen vor, sondern nur ein einziges Herzsymbol als Zeichnung. Es scheint, als sei die Zeichnung mit einer Schablone abgepaust, da sie – bis auf einzelne Überlappungen beim Umriss – akkurat aussieht. Sogar einigermaßen so genau, dass man das Herz durch eine senkrechte Linie so halbieren könnte, dass es gespiegelt wird. Zusätzlich wird das Herz von außen nach innen mit Fußspuren dargestellt, womit durch den Titel “DEINE SPUREN SIND IN MIR” eine Kombination aus Text und Bild beziehungsweise eine Text-Bild-Relation entsteht. An der Stelle bleibt unklar, ob die folgenden, in Verse geschriebenen Zeilen von der Verfasserin selbst oder von M. Feigenwinter stammen. Dieser Name führt nämlich – wenn auch hier mit falscher Orthographie – zum Autor Max Feigenwinter, der das 16-seitige Taschenbuch Deine Spur in meinem Herzen: Trost in Tagen der Trauer31 verfasste. Aus diesem Grund lässt sich vermuten, dass die Textstellen entweder direkt oder indirekt zitiert sind, indem Bezug zu diesem Buch genommen wird. Im Vergleich zu Seidels Ausarbeitung zu den Herzbildtypen fällt auf, dass dort diese Abbildung mit Fußspuren nicht auftaucht, aber mit dem “Hand&Fuß-Herzbild”32 vergleichbar ist. Dies liegt daran, dass beide Herzbildtypen mithilfe von Assoziationen erschlossen werden müssen. Somit sind sie ein Ikon beziehungsweise ein mentales Bildkonzept, das Seidel auch als “sprachmediale[] Metapher”33 bzw. “gemalte Sprachmetapher”34 bezeichnet. 

LB_00700_0020_001_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Genauso wie im vorherigen Liebesbriefbeispiel steht hier eine Zeichnung im Vordergrund, nämlich die von zwei Herzen. Diese erinnert von der Gestaltung her an ein anatomisches Herz, was durch das Zeichnen der oberen Hohlvene deutlich wird. Zwei rote Herzen sind mit schwarzen Ketten aneinander gebunden und werden von einer Art blauen Schleife umrahmt. Die unter die Herzen geschriebene Spruchdichtung nimmt explizit Bezug auf die obige Zeichnung “so sollen uns’re Herzen seyn!”, d.h. Text und Bild stehen in Beziehung zueinander. Durch die offenbar bewusst gewählte veraltete Orthographie wird der Versuch unternommen, den Liebesbrief zu historisieren. Ein weiterer Anhaltspunkt dafür ist der Schriftzug “In Lieb und Noth bis in den Todt”, der synonym zur Redewendung “Bis dass der Tod uns scheidet” zu verstehen ist, die auf das Christentum zurückzuführen ist.35

Zettelchen in Herzform

LB_00732_0062_001. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Im Vergleich zu den anderen Liebesbrieftypen stellt diese Art der Liebesbotschaft eine besondere Form des Liebesbriefes dar: Den “Nicht-Schreibpapier-Liebesbrief”36. Der Verfasser äußert seiner Geliebten explizit und implizit seine Liebe auf einzelnen Zetteln, die in Herzform geschnitten und nicht chronologisch angeordnet sind. Es handelt sich hierbei also nicht um eine Art ‘serielle Zettelchen’, deren Inhalt chronologisch eine zusammenhängende Botschaft ergibt. Denn dafür müsste der zweite Herzzettel mit der Abschlussformel “1000 Küsse / dein / Löwe” als drittes positioniert sein, um zumindest die Struktur der Abschlussformel wie in einem prototypischen Liebesbrief anzuordnen. Auffällig bei der hier gewählten Anordnung der drei Zettel ist, dass sowohl der erste als auch der dritte Zettel mit einer expliziten Liebeserklärung beginnen, der ein kausaler Nebensatz folgt. So leitet der Verfasser mit der Konjunktion “weil” die Begründung für seine Liebe ein, die sich auf Handlungen seiner Geliebten beruft.

Fazit

Im Rahmen des Liebesbriefstammtisches wurden zunächst folgende Fragen gestellt: Was verbindet ihr mit dem Symbol des Herzens? Woher stammt das Herz als Symbol für die Liebe? Wie kann uns Herzsymbolik im Liebesbrief begegnen?

Die Antworten der Bürgerwissenschaftler*innen haben gezeigt, dass das Herz hauptsächlich als Symbol der Liebe angesehen wird, dieses Symbol aber in seiner Ausgestaltung variationsreich ist und je nach Kontext eine andere Bedeutung haben kann.
Ohne tiefgründige Analyse der Liebesbriefe wurde bei deren Betrachtung offensichtlich, dass die im Rahmen des Liebesbriefstammtischs besprochenen Liebesbriefe zwischen den 1970er und 1990er Jahren eine Vielzahl unterschiedlicher Herzbildtypen verwenden.  Hierbei ist festzuhalten, dass die vorzufindenden Herzbilder einerseits ein kreativer Ausdruck der persönlichen Handschrift sein können, z.B. wenn man gebundene Herzbildexemplare als Baumaterial sprachlicher Zeichen(teile) oder als Ersatzteil sprachbegleitender Zeichen(teile) verwendet. Andererseits wird deutlich, dass Herzbildexemplare auch als Bestandteil nichtsprachlicher Zeichen(teile) auftreten können. Als bekanntes Beispiel gilt laut Seidel das beispielsweise gemalte, gezeichnete oder geklebte Amorherzbildtyp37, also ein Herz mit einem oder mehreren durchbohrten Pfeilen. Durch die Assoziation mit Amor wird deutlich, dass vor allem Zeichnungen und Bilder einen Ausdruck der eigentlichen Worte ganz übernehmen bzw. zuvor oder danach folgende Worte unterstützen oder betonen können. Diese Beobachtung entspricht der allgemeinen Erkenntnis von Wyss, dass Bilddarstellungen entweder eigenständig ein Symbol der Sprache sind oder zusätzlich bzw. mit der Sprache operieren.


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  1. Vgl. “Herz”, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Herz, zuletzt aufgerufen am 10.10.2023. ↩︎
  2. Vgl. Seidel (2010): Das liebesbriefliche Herzbild: Bedeutungen und Funktionen, Berlin, Technische Universität, Dissertation, S. 10 [Online-Version], URL: https://depositonce.tu-berlin.de/items/5e6e8e3e-6380-4cc2-b07b-5b22db77a0d5, zuletzt aufgerufen am 21.04.2024.
    ↩︎
  3. Seidel 2010. ↩︎
  4. Kruse, Cornelia/Plessen, Marie Louise von (2004): Von ganzem Herzen: Diesseits und jenseits eines Symbols, Berlin: Nicolai [anlässlich der Ausstellung >>Von ganzem Herzen<< im Schloss Neuhardenberg, 15. Aug. – 7. Nov. 2004]. ↩︎
  5. Kruse/Plessen (2004), S. 13. ↩︎
  6. Vgl. ebd., S. 39. ↩︎
  7. Vgl. ebd., S. 60. ↩︎
  8. Margareta Maria Alacoque (1647–1690), vgl. Deutsche Biographie – Alacoque, Marguérite Marie, Heilige (deutsche-biographie.de), zuletzt aufgerufen am 22.04.2024.
    ↩︎
  9. Vgl. Kruse/Plessen, S. 14.
    ↩︎
  10. Vgl. ebd., S. 60f. Ein Beispiel hierfür findet sich auch in Berninis berühmtem Figurenbild der Verzückung der Hl. Teresia, die vom Pfeil göttlicher Liebe getroffen wird, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Verz%C3%BCckung_der_heiligen_Theresa, zuletzt aufgerufen am 22.04.2024. ↩︎
  11. Vgl. Kruse/Plessen, S. 13. ↩︎
  12. Aristoteles, Indexeintrag: Deutsche Biographie, Deutsche Biographie – Aristoteles (deutsche-biographie.de), zuletzt aufgerufen am 06.12.2023. ↩︎
  13. Vgl. Seidel 2010, S. 41. ↩︎
  14. Wyss, Eva (2004): Brautbriefe, Zettelchen, E-Mails und SMS. In: Das Archiv, 2004, S. 1–12, hier: S. 13 (Online-Ressource), URL: https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/11574/file/wyss_04_lb_liebesemails.pdf, zuletzt aufgerufen am 21.04.2024. ↩︎
  15. Vgl. Seidel 2010, S. 41, 46, 49. ↩︎
  16. Vgl. ebd., S. 187. ↩︎
  17. Unter einem Transsymbol versteht Seidel das Zusammenspiel zwischen der Ausdrucks- und Bedeutungsseite zweier Zeichen. Beispielsweise kann das ♡ als Zeichen den Ausdruck und die Bedeutung des Elementar-Herzbildtyps widerspiegeln. Als zweites Zeichen könnte man das Lexem “liebe” nennen. Das Transsymbol bildet dann das dritte Zeichen (Symbol) in Kombination aus der Ausdrucksseite von z.B. Zeichen 1 und der Bedeutungsseite von z.B. Zeichen 2. Das Transsymbol übernimmt also z.B. die Bedeutung des ersetzten Zeichen(teils) und stellt so eine Alternative des ursprünglichen Zeichens dar (vgl. ebd., S. 67f.). ↩︎
  18. Vgl. ebd., S. 157. ↩︎
  19. Ebd., S. 193. ↩︎
  20. Ebd., S. 159. ↩︎
  21. Vgl. ebd. ↩︎
  22. Vgl. ebd., S. 187. ↩︎
  23. Vgl. ebd., S. 130. ↩︎
  24. Abbildung s.u. ↩︎
  25. Ebd., S. 175. ↩︎
  26. Vgl. ebd., S. 159. ↩︎
  27. Vgl. ebd., S. 157. ↩︎
  28. Vgl. ebd., S. 159. ↩︎
  29. Ebd., S. 130. ↩︎
  30. “Amor”, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, URL: https://www.dwds.de/wb/Amor, zuletzt aufgerufen am 21.04.2024.  ↩︎
  31. Feigenwinter, Max (2017), URL: https://www.zvab.com/servlet/BookDetailsPL?bi=30608527301&searchurl=kn%3Ddeine%2Bspur%2Bin%2Bmeinem%2Bherzen%26sortby%3D20&cm_sp=snippet-_-srp1-_-title2, zuletzt aufgerufen am 21.04.2024. ↩︎
  32. Seidel, Carsten (2010), S. 168. Dieser Herzbildtyp ist eine gemalte Sprachmetapher und somit ein ikonisches Zeichen, da sie mithilfe eines assoziativen Schlusses gedeutet wird. Dieses Ikon basiert auf einem mentalen Bild, das während der Schlussfolgerung einer sprachlichen Metapher entsteht. In diesem Fall liegt ein gemaltes Abbild eines Elementarherzbilds vor, das jeweils auf der linken und rechten Seite Arme und Füße hat. Damit verweist diese gemalte Sprachmetapher auf die sprachmediale Metapher bzw. Redewendung “>Hand und Fuß haben<” (ebd.). ↩︎
  33. Ebd., S. 168. ↩︎
  34. Ebd., S. 187. ↩︎
  35. “Denn die verheiratete Frau ist durch Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes“ (Röm 7,2). ↩︎
  36. Seidel 2010, S. 29. ↩︎
  37. Vgl. ebd., S. 50. ↩︎

[Ediert am 24.04.2024]

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