von Mandy Lamb (TU Darmstadt)

Zum letzten Liebesbriefstammtisch vor der Sommerpause kamen am 12. Juli die Gruß & Kuss-Liebesbriefforscher*innen und neue Interessent*innen im Schlossgarten Darmstadt und an der Universität Koblenz zusammen, um sich gemeinsam über Liebesbriefe in Kurrent und Sütterlin auszutauschen.

Zum Einstieg wurden Liebesbriefe aus den Jahren 1715, 1819, 1855 und 1906 gezeigt und folgende Fragen gestellt: Wie nennt man diese Schriftarten? Wer kennt überhaupt noch diese Schriftarten? Wer ist ihnen schon einmal begegnet und wo? Wie unterscheiden sich Kurrent und Sütterlin voneinander?

Der Darmstädter Liebesbriefstammtisch im Schlossgarten. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Wissenswertes über Kurrent und Sütterlin

Das Liebesbriefarchiv umfasst Liebesbriefe aus dem 18.-21. Jahrhundert, die unter anderem aus privaten Nachlässen stammen. Davon sind einige Schriftstücke in Deutscher Schreibschrift verfasst und daher für den Großteil der Menschen aus heutiger Zeit schwer zu entziffern. Ebenso schwierig wie der Umgang mit den Schreibschriften selbst ist die Frage, was überhaupt unter der Deutschen Schreibschrift zu verstehen ist. Laut Braun (Deutsche Schreibschrift) bestätigt die Empirie, dass dabei unterschiedliche Antworten festzuhalten sind.1 Eine oft verbreitete Ansicht ist, Sütterlin als übergeordneten Begriff oder als Synonym für die Deutsche Schreibschrift zu verstehen, obwohl sie nur eine besondere Form der deutschen Kurrentschrift ist. Unter der ‘Deutschen Schreibschrift’ sind alle ab dem 16. Jahrhundert entwickelten Schreibschriften zu fassen und damit neben Kurrent (und Sütterlin) auch die Kanzlei- und Frakturschrift2, wobei man sich beim Liebesbriefstammtisch nur mit den ersten beiden Schriften beschäftigte.

Diese Darstellung des Deutschen (Fraktur-)Alphabets diente beim Liebesbriefstammtisch als Hilfestellung für die gemeinsamen Schreib- und Leseübungen.3

Etwa seit der frühen Neuzeit galt die deutsche Kurrentschrift (auch Laufschrift genannt4) als die gebräuchliche Verkehrsschrift im gesamten deutschen Sprachraum. Kurrent zeichnet sich dadurch aus, dass die Buchstaben eines Wortes miteinander verbunden sind und die Schrift, ebenso wie Kanzlei und Fraktur, mit der Breitfeder geschrieben wird. Ab dem 19. Jahrhundert kamen Spitz- und Stahlfedern als Schreibwerkzeug dazu, woraus sich verschiedene Schriftstile entwickelten. Die Schriften variieren sowohl in ihrer Ausrichtung (linksschräg, aufrecht, rechtsschräg) als auch in ihrer Schriftdicke und weichen so von vorzufindenden Abbildungen des Alphabets ab.

Die Sütterlinschrift gilt als eine reformierte Schreibweise zur Vereinfachung der deutschen Kurrentschrift, die 1911 von Ludwig Sütterlin (1865-1917)5 im Auftrag des preußischen Kultusministeriums entwickelt wurde. Der Unterschied beider Handschriften liegt darin, dass Sütterlin gerade, mit weniger Ober- und Unterlängen und Kurrent eher schräger mit vielen Ober- und Unterlängen geschrieben wird.6 Um 1915 war Sütterlin nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken, da diese Schrift seitdem als Schulausgangsschrift in preußischen Schulen galt und auch in Kanzleien verbindlich wurde. Die Sütterlinschrift etablierte sich sogar als deutsche Volksschrift, die im Schulwesen bis zu ihrem Verbot 1941 durch die Nationalsozialisten Pflicht war. Grund für das Verbot war, dass die Schrift von Juden erfunden worden sei.7 Von da an durfte nur noch die lateinische Schreibschrift gelehrt werden.

Mit Tinte und Feder in Kurrent schreiben

Zum Entschlüsseln der Handschrift standen die vier oben erwähnten Liebesbriefe aus dem Liebesbriefarchiv als Faksimile bereit, also als originalgetreue Kopie.8

Zwar konnten alle Liebesbriefforscher*innen auch ohne große Vorkenntnisse einzelne Buchstaben, Wörter oder (Teil)Sätze entziffern, doch nur wenigen von ihnen war es möglich, ganze Absätze zu lesen. Aus diesem Grund hatte jeder die Möglichkeit, mit Feder, Tinte und dem Deutschen Fraktur-Alphabet die alte Schrift auf Lineaturbögen schreiben zu üben. Dies diente dem Zweck, jedem eine bessere Lesbarkeit der Liebesbriefe zu ermöglichen und somit eigenständig und gegebenenfalls mit Hilfestellungen von unseren wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und einigen mit der alten Schrift vertrauten Bürgerwissenschaftler*innen die Briefe zu lesen. Dank dieser Zusammenarbeit mussten die entsprechenden Transkriptionen der Briefe nicht oder nur kaum verwendet werden.

Fazit

Die Auseinandersetzung mit den Liebesbriefbeispielen in alten Schriften hat gezeigt, dass sich sowohl jüngere als auch ältere Bürgerwissenschaftler*innen für das Schreiben- und Lesenlernen dieser Schriften interessieren und darüber hinaus große Freude beim Entziffern hatten. Dies führte dazu, dass sie sich nicht nur über den Umgang mit Liebesbriefen in solchen Handschriften austauschten, sondern auch über weitere Textdokumente nachdachten, denen sie schon einmal in der alten Deutschen Schreibschrift begegnet sind. Hier sind z.B. Kochbücher bzw. Rezepte erwähnt worden, mit denen sich auch die Literatur rund um das Thema Handschriften beschäftigt.9 Daraus entwickelte sich die Eigeninitiative einer jüngeren Liebesbriefforscherin, voraussichtlich beim nächsten Liebesbriefstammtisch eigene ältere Dokumente zum Entziffern mitzubringen. Dass nicht nur ältere Handschriften faszinieren können, verdeutlicht die andauernde Weiterentwicklung ihrer spezifischen Arten wie Handlettering als moderne Schönschrift.


Sie interessieren sich für den Liebesbriefstammtisch und möchten dabei sein? Dann informieren Sie sich über unsere kommenden Stammtischtermine und -themen und melden Sie sich an:

  1. Vgl. Braun, Manfred (2015): Deutsche Schreibschrift: Kurrent und Sütterlin lesen lernen; handschriftliche Briefe, Urkunden, Rezepte mühelos entziffern, München, S. 8. ↩︎
  2. Vgl. Funke, Fritz (1969): Ein Überblick über die Geschichte des Buch- und Schriftwesens, 3., unveränd. Aufl., München-Pullach, S. 214f. ↩︎
  3. Alte deutsche Handschriften (deutsche-handschrift.de), zuletzt aufgerufen am 22.08.2023. ↩︎
  4. „Kurrentschrift“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Kurrentschrift, zuletzt aufgerufen am 02.08.2023. ↩︎
  5. Zilch, Reinhold, „Sütterlin, Ludwig“ in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 688-689 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd124061168.html#ndbcontent, zuletzt aufgerufen am 09.10.2023. ↩︎
  6. „Sütterlinschrift“, bereitgestellt durch Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Sütterlinschrift, zuletzt aufgerufen am 22.08.2023. ↩︎
  7. Vgl. Braun 2015, S. 8. ↩︎
  8. „Faksimile“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Faksimile, zuletzt aufgerufen am 18.09.2023. ↩︎
  9. Vgl. Braun 2015, S. 9. ↩︎

[Ediert am 09.10.2023]

Kategorien: Liebesbriefstammtisch