von Nadine Dietz (TU Darmstadt), Lena Dunkelmann (Universität Koblenz)
und Birte C. Gnau-Franké (Universität Koblenz)

Der erste Liebesbriefstammtisch 2023 fand am 8. Februar statt. Sowohl im Darmstädter Residenzschloss als auch im Lokal des ‘Kleinen Riesen’ in Koblenz sind erneut Bürgerwissenschaftler*innen zusammengekommen, um sich voller Motivation und Neujahrsenergie den kleinsten und kürzesten aller Liebesbotschaften zu widmen, die man sich im Alltag hinterlässt – den Zettelchen.
Ob zu Schulzeiten oder während des Studiums unter dem Tisch oder der Bank zugeschoben, auf dem Schreibtisch der*des Arbeitskolleg*in versteckt, der*dem Partner*in im Alltag hinterlassen oder einer fremden Person auf der Straße überreicht – Liebesbotschaften werden auch in Form von Zettelchen verfasst.

Aber sind Zettelchen und Zettelbotschaften überhaupt ‘echte’ Liebesbriefe? Welche Funktion übernehmen diese Zettel in der Paar- und Liebeskommunikation?

Der Liebesbriefstammtisch im Residenzschloss Darmstadt. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Die Geschichte der Zettelkommunikation

Zettelchen – auch Billets1 genannt –  wurden im 17. Jahrhundert zunächst als Zollabfertigungszettel und schriftliche Einquartierungsordres2 für Soldaten genutzt, bevor sich daraus eine Schnell- und Kurzkommunikationsmöglichkeit entwickelt hat.3 Die Zettelkommunikation verbreitet sich Ende des 17. Jahrhunderts in ganz Europa und reagierte damit auf ein Problem der damaligen Zeit: Das Verfassen von Briefen war äußerst aufwändig und teuer – Papierbogen hatten ihren Preis; mithilfe der Billets wurde Kommunikation im geschäftlichen und privaten Bereich deutlich vereinfacht.4 

Insgesamt lassen sich zum Billet sechs charakteristische Merkmale versammeln, die zur Verdeutlichung der vereinfachten Schreibpraxis dienlich sind:

  1.  Das Billet wurde hauptsächlich für den Austausch von Nachrichten in einem begrenzten geografischen Gebiet verwendet, war aber nicht zum Verschicken über große Entfernungen hinweg gedacht.
  2. Das Billet wurde ausschließlich von privaten Boten oder Kurieren überbracht. Es war kein offizielles Kommunikationsmittel, das über öffentliche Postdienste oder andere formelle Kanäle versandt wurde.
  3. Oftmals erfolgte auf ein Billet eine Antwort in Form eines weiteren Billets. Dies deutet darauf hin, dass das Billet als eine Art schnelle und effiziente Methode der Kommunikation angesehen wurde.
  4. Das Billet diente in erster Linie dem Austausch von Nachrichten zwischen Personen ähnlichen sozialen Rangs oder Status. Einer höhergestellten Person dagegen ein Billet zukommen zu lassen, war verpönt.
  5. Die Billets waren in der Regel kurze Nachrichten, die den Eindruck erweckten, sie seien in Eile verfasst worden. Dies führte zu weiteren Vereinfachungen bei der Verwendung des Materials, der Faltung und der Siegelung der Billets. Es ging darum, die Kommunikation schnell und unkompliziert zu gestalten.
  6. Ein wesentliches Merkmal des Billets war, dass Verfassende sofort mit der Behandlung der Angelegenheit beginnen und ohne weitere Verzögerung einen Namen darunter setzen sollten. Es war eine Art stillschweigende Vereinbarung, dass das Billet als dringend und verbindlich betrachtet wurde.5

Diese sechs Merkmale prägten die Verwendung sowie den Charakter des Billets als ein spezifisches Kommunikationsmittel, das im Nahbereich zwischen Gleichrangigen genutzt wurde.

Zettelchen als ‘Liebesbrief’: Das Billet-Doux

Das Billet-Doux6 als eine spezielle Variante des Billets erfreute sich großer Beliebtheit und war eine romantische und zärtliche Form des Billets, die oft von Liebenden verwendet wurde, um ihre Gefühle auszudrücken und ihre Zuneigung füreinander zu bekunden. Das Billet-Doux war und ist somit ein Ausdruck der intimen und persönlichen Kommunikation zwischen zwei Menschen.7 Es dient dabei auch der ‘heimlichen’, unbemerkten Kommunikation.8 

Darüber hinaus wurden extravagante Formen der Kommunikation mit dem Billet-Doux in städtischen Gebieten praktiziert. Ein Beispiel dafür waren „fliegende Händler“9, die auf den belebten Pariser Boulevards von einer Kutsche zur anderen eilten und dabei Billet-Doux verteilten. Diese Art der Zustellung verlieh dem Billet-Doux eine gewisse Exklusivität und Aufmerksamkeit. Es gab sogar Fälle, in denen Billet-Doux in Kuchen eingebettet wurden, um auf originelle und überraschende Weise überbracht zu werden.10

Solche kreativen Verpackungen und Zustellungsarten unterstrichen die Bedeutung des Billet-Doux als ein besonderes und einzigartiges Kommunikationsmittel in urbanen Zentren. Es diente als künstlerisches Medium, um Gefühle und Gedanken auf eine ansprechende und faszinierende Weise zu übermitteln.11

LB_00147_0063_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Wann schreibt man liebevolle Zettel bzw. Zettelchen?

Wann bzw. in welchen Situationen schreibt man sich überhaupt Zettel? 

Gemeinsam mit den Bürgerwissenschaftler*innen wurde unterschieden zwischen Menschen, die sich fremd sind und Menschen, die zueinander in irgendeiner Art von Beziehung stehen sowie zwischen (halb)öffentlichen und privaten Räumen, in denen sich Zettelchen überreicht und hinterlassen werden: In öffentlichen Räumen dienen Zettelchen meist als erste Interaktion zwischen zwei Menschen, die sich vorher noch nie begegnet sind: Man steckt sich Zettelchen zu, auf denen zum Beispiel die Telefonnummer oder ein netter Kommentar drauf steht. Aber auch Personen, die sich untereinander schon kennen, schreiben Zettelchen – beispielsweise in der Schule mit der klassischen “Willst du mit mir gehen?”-Frage oder unter Kolleg*innen, denen man Zettel auf dem Schreibtisch hinterlässt. 

Aber auch im privaten Raum zu Hause begegnet einem die Zettelkommunikation: Das können Kopfkissenzettel sein, die man dem*der Partner*in hinterlässt, Zettel an Türen, ‘Überraschungszettel’ in Koffern vor einer Reise oder ein liebevoller Gruß auf Einkaufszetteln: “Milch nicht vergessen! Lieb Dich!” 

Wie unterschiedlich diese liebevollen Zettelchen sind, zeigen auch die nachfolgenden Beispiele der besprochenen Liebesbotschaften beim Liebesbriefstammtischs.

Scheibenwischerzettel

LB_00500_Begleit_004_001. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Dieser Ende der 1990er Jahre verfasste Zettel hat eine sich öfter wiederholende Situation zum Anlass und eröffnet mit der Frage: “Mußt Du Dich denn immer neben mich stellen?” Es ist zu vermuten, dass mit dieser Frage das nebeneinander Parken auf einem Parkplatz gemeint ist und der Zettel öffentlich hinter die Windschutzscheibe der Zettelempfängerin geklemmt wurde. Der Zettel weist weder Anrede noch Grußformel auf und ist stark an gesprochener Sprache orientiert “‘nen Bier trinkengehen […] Ich denk an Dich”. Der Zettelschreiber signalisiert mit dieser Nachricht Interesse an der Empfängerin und umgeht die direkte persönliche Konversation, indem er ihr diesen Zettel hinterlässt.

Rückholzettelchen

LB_00727_0072_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Ende der 1970er Jahre wurde dieser Zettel am Valentinstag verfasst. Auch dieser weist eine Anrede auf, “Mein geliebtes Häschen”, aber keine persönlich unterzeichnete Grußformel. Der Zettel ist ausschließlich in Großbuchstaben verfasst; ein i-Punkt wird als Herz dargestellt. Der Verfasser beteuert seine Liebe zur Empfängerin “Ich liebe dich sehr sehr” und wünscht sich, “dass alles wieder gut wird” – möglicherweise dient der Zettel in als eine Art ‘Rückholzettelchen’12, um der Beziehung noch einmal eine Chance zu geben bzw. sie zu ‘reparieren’.

Serielle Zettelchen

Dieses schweizerische Beispiel aus den 2010er Jahren ist eher untypisch für die klassische Zettelkommunikation: Der Schreiber verfasst viele kleine, in Herzform zurechtgeschnittene Zettelchen, die erst aneinandergereiht eine Gesamtbotschaft ergeben: Eine Einladung in ein Café. Es handelt sich hierbei also um eine Art ‘serielle Zettelchen’, die – vermutlich – im privaten Raum möglicherweise hintereinander ausgelegt wurden, um die formulierte Einladung etwas spannender zu gestalten. Dabei erinnert diese Zettelserie vom Aufbau her an einen Brief, da sie mit einer Anrede “Liebschti [Liebste] Prinzessin” beginnt und mit einem Abschiedsgruß endet “Dim chliene [Dein kleiner] Prinz!”. 

Auf jedem Zettelchen finden sich ein paar Worte, die mit kleinen Zeichnungen in Form von Herzen, Kronen, Gläsern oder Croissants passend zur formulierten Einladung bzw. zu den ausgewählten Kosenamen Prinzessin und Prinz geschmückt wurden. 
Der eigentlichen Einladung ist noch die Frage nachgestellt, ob die Empfängerin der Zettelchen zum Café laufen oder abgeholt werden möchte – wie eine Art P.S., Post-Scriptum, das sich häufig am Ende von Briefen findet. Den Liebesbekundungen nach zu urteilen (“mini liebi [meine liebe]… zu Dir isch … unermesslich!”) handelt es sich um zwei Personen, die eine Beziehung miteinander führen. Ungewiss ist, ob der Schreiber die Zettelchen selbst auf das rosa Papier geklebt hat oder die Empfängerin dies getan hat, um die Zettel aufzubewahren. 

Auch, wenn es sich bei diesem Beispiel um Zettelchen handelt, zeigt die Aufmachung und Intention, dass es sich hierbei um eine weniger spontane, stattdessen geplante und mühevoll umgesetzte Liebesbotschaft handelt, was vor allem durch die besondere Form der Zettelserie unterstrichen wird.

Liebesbrief versus Zettelchen?

LB_00141_002_anonymisiert. CC-BY-SA Liebesbriefarchiv

Auf die Frage, ob es ein erkennbares Muster hinsichtlich der liebevollen Zettelchen gibt, wird zusammen mit den Bürgerwissenschaftler*innen festgehalten: Nicht direkt, aber die Zettelchen zeichnen sich durch eine besonders hohe Vielfalt an kreativer Umsetzungsmöglichkeiten aus und werden trotz ihrer ‘mangelnden Liebesbriefform’ auch besonders gern aufgehoben. Die kleinen Zettelchen mit Liebesbotschaften werden als besonders wertvoll angesehen, drücken Spontaneität, aber auch vielleicht Eile aus, wobei sich aber der*die Schreiber*in dennoch einen kurzen Moment für einen Liebesgruß nimmt.

So wird beispielsweise der berühmte Kopfkissenzettel nicht nur positiv, sondern auch als etwas Praktisches bewertet: ein ‘lebender Beweis’ der (vergangenen) Anwesenheit der geliebten Person plus Liebesgruß. Die Zettelchen sind unerwartet, zufällig, spontan, überraschend in alltäglichen Situationen, ein ’nebenbei Symbol des Gefühls’, schnell gelesen und klein genug, um sie an gewünschten Orten aufzuhängen oder anzupinnen. Ein klassischer, seitenlanger Liebesbrief kann gerade diese, von den Bürgerwissenschaftler*innen herausgestellten Besonderheiten nicht bedienen. Im Gegenteil: Selbst ritualisierte Zettelchen verlieren diesen besonderen Charakter des Unerwarteten und Spontanen.

Zuletzt kommen immer wieder weitere Fragen bezüglich der Zettelchen auf: Wer schreibt mehr von diesen kleinen Liebesbotschaften – Männer, oder Frauen? Aktuell fehlen dazu noch belastbare Daten, weshalb diese Frage nicht geklärt werden konnte. Und, da es sich bei den Zettelchen um in der Regel spontane (liebevolle) Alltagskommunikation handelt: Lösen Smartphone-Messenger-Dienste wie WhatsApp diese ab? Zumindest mit Blick auf die beim Stammtisch besprochenen Beispiele wird klar: Nein. Denn WhatsApp nutzt jede*r gleich auf dem Smartphone, die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten sind begrenzt. Auch fehlt die persönliche Note: die individuelle Handschrift. Der Zettel dagegen ist etwas Materielles, kann nach Belieben gestaltet und an den unmöglichsten Orten hinterlassen, durch Zeichnungen, Beigaben und Situationen besonders wertvoll ‘gemacht’ werden. 

Fazit

Sind Zettelchen nun Liebesbriefe? Und welche Funktion übernehmen sie in der Paarkommunikation? Die Zettelkommunikation unterscheidet sich zur Briefkorrespondenz dahingehend, dass sie eher monologisch gestaltet ist und nicht zwingend eine schriftliche Antwort erfordert – meist reagiert die*der Adressat*in mündlich und persönlich auf das zuvor Geschriebene. Die Zettelchen selbst dienen als kleine nette schriftliche Aufmerksamkeit im Alltag und bezeugen dadurch einen herausgehobenen Moment der liebevollen Wertschätzung. Durch ihre Unverbindlichkeit, der besonderen kreativen Gestaltungs- und Übermittlungsmöglichkeiten sowie auch durch ihre saloppen Formulierungen vermitteln Zettelchen eine stärkere individuelle Note als etwa ein prototypischer Liebesbrief. Formal handelt es sich nicht um einen klassischen Liebesbrief, sondern eine Form der schriftlichen Liebeskommunikation, eine besondere Kommunikations- und Alltagskultur im Bereich der Liebesbriefforschung.


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  1. “veraltet Briefchen, Zettel mit einer Mitteilung”,  „Billett“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Billett>, abgerufen am 27.09.2023. ↩︎
  2. Unter den Einquartierungsordres wurden jene Befehle verstanden, die die Unterbringung der Soldaten, in Kriegszeiten, von Seiten der zivilen Bevölkerung verpflichtend sicherstellen sollten. ↩︎
  3. Oesterle, Günter: Billet. In: Matthews-Schlinzig, Marie Isabel/Schuster, Jörg/Steinbrink, Gesa/Strobel, Jochen (Hrsg.): Handbuch Brief. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Band 1: Interdisziplinarität – Systematische Perspektiven – Briefgenres. Berlin/Boston 2020, S. 401–408, hier: S. 401. ↩︎
  4. Vgl. ebd. ↩︎
  5. Vgl. zu den sechs Merkmalen des Billets: ebd., S. 402f. ↩︎
  6. Auch „Billetdoux, das”, aus dem Französischen, veraltet für Liebesbrief  „Billetdoux“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Billetdoux>, abgerufen am 27.09.2023. ↩︎
  7. Vgl. ebd. ↩︎
  8. Vgl. Wyss, Eva L. (2004): Brautbriefe, Zettelchen, E-Mails und SMS. In: Das Archiv 1, S. 6–17, hier: S. 13. ↩︎
  9. Zit. nach ebd., S. 403. ↩︎
  10. Vgl. ebd. ↩︎
  11. Vgl. ebd., S. 403f. ↩︎
  12. Von Wyss als Untergattung des Liebesbriefs im Original als “Rückholbrief” bezeichnet; hier an das Medium des Zettels angepasst. Vgl. Wyss, Eva L. (2015): Liebesbriefe und Liebeserklärung im Zeitalter der Digitalisierung intimer Kommunikation. In: Schellbach-Kopra, Ingrid/Schrey-Vasara, Gabriele/Moster, Stefan/Grünthal, Satu (Hg.): Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen Nr.47/2015, S. 9–20, hier: S. 12. ↩︎

[Ediert am 28.09.2023]

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